„Mein Sport. Meine Seele. Meine Kunst.“ - LSB präsentiert in Oberhof Kunst von Betroffenen des DDR-Staatsdopings

Gesine Tettenborn (geb. Walther) zählte in den 80er Jahren zu den schnellsten Sprinterinnen der Welt. 1984 lief die Athletin vom SC Turbine Erfurt Weltrekord mit der 4x400-Meter-Staffel – im Alter von 22 Jahren. Fünf Jahre zuvor wurden ihr erstmals staatlich verordnete Dopingsubstanzen verabreicht. Laut internen Unterlagen erhielt sie als Sprinterin der DDR-Nationalmannschaft über 1.000 Milligramm des Anabolikums Oral-Turinabol pro Jahr – und leidet bis heute an körperlichen wie psychischen Einschränkungen. Um diese Vergangenheit zu verarbeiten, malt Gesine Tettenborn.

Ihre Werke präsentiert nun eine Ausstellung während der Biathlon-Weltmeisterschaften in Oberhof. Zur Eröffnung am 10. Februar war sie extra angereist, auch um die weiteren Betroffenen des DDR-Staatsdopings zu vertreten, die ebenfalls versuchen durch Bilder und Fotografien ihre Vergangenheit zu verarbeiten. „Verzweiflung“, „Schutz“, „Schutzlos“ – so lauten die Titel der Kunstwerke ehemaliger Leistungssportler*innen, die nicht nur das Licht in Form von Erfolgen und Medaillen, sondern auch den Schatten des Leistungssports der ehemaligen DDR erlebt haben.

Die Kunstausstellung gibt fünf Betroffenen die Möglichkeit über die Kunst sichtbar zu machen, wie sie ihre ganz persönliche Leidensgeschichte auf künstlerische Art und Weise zu bewältigen versuchen. Neben Gesine Tettenborn sind dies die ehemalige Mittelstreckenläuferin Heike Knechtel, eine der Hauptinitiatorinnen der ersten Auflage der Ausstellung 2022 in Berlin, sowie Dr. Sigurd Hanke (Schwimmen/ SC Turbine Erfurt), der ehemalige Leichtathlet Mario Naumann aus Leipzig und die Schweriner Volleyballerin Katy Pohl. Sie alle sind anerkannte Dopingopfer.

„Heute wissen wir aufgrund zahlreicher Beispiele, was Doping in der DDR für psychische und körperliche Schäden bewirkt hat. Dies darf sich nicht wiederholen“, erklärte LSB-Hauptgeschäftsführer Thomas Zirkel zur Eröffnung. Der LSB sieht sich vor allem bei jungen Talenten in der Verantwortung entsprechende Präventionsarbeit zu betreiben um über Doping und die Folgen aufzuklären. „Daher möchten wir die Tage rund um die WM in Oberhof nutzen, um mit der Ausstellung auf das Thema aufmerksam zu machen. Denn mit sportlichen Höchstleistungen geht auch immer die Verantwortung einher sauberen Sport zu betreiben – frei von leistungssteigernden und gesundheitsgefährdenden Mitteln.“

Als sechsfacher DDR-Meister im Schwimmen wurde auch Sigurd Hanke gedopt. Auf diese Zeit blickt der Arzt und aktuelles Mitglied der LSB-Ethikkommission wie folgt zurück: „Neben Oral-Turinabol gab es Infusionen. Bei Erkältungen gab es Spritzen, die hießen ´Cocktail`; wer weiß was da alles drin war – jedenfalls war man nach unnormal kurzer Zeit wieder fit fürs Training. Was für Medikamente haben wir bekommen? Paracetamol und Analgin (in Mengen), Ibuprofen, vielleicht Somatotropin (seit 1985 verboten), Thioctacid (eigentlich gegen diabetische Polyneuropathie), Vitamin C, α-Liponsäure, Kalium-Magnesium-Adipat, Vitamin B complex, Vitamin E, Dynvital-Pulver, … Ich weiß es nicht genau.“* Die gesundheitlichen Probleme, Gelenk- und Muskelbeschwerden sowie Herzrhythmusstörungen, beeinträchtigen ihn bis heute.

Die Ausstellung „Mein Sport. Meine Seele. Meine Kunst“, organisiert durch den Landessportbund, wird von der Thüringer Staatskanzlei und dem Doping-Opfer-Hilfe-Verein (DOH) unterstützt und ist noch bis zum 19. Februar 2023 öffentlich zugänglich. Zu finden ist die Ausstellung auf dem Stadtplatz Oberhof in der sogenannten Thüringen Area im Domzelt des Landessportbundes (täglich 14 – 19 Uhr).

Hintergrund:

Seit dem Jahr 2016 führen der LSB und die Thüringer Staatskanzlei eine enge Zusammenarbeit, um gemeinsam Doping-Betroffenen im Leistungssport der ehemaligen DDR zu helfen. Der Wunsch von Betroffenen, sich auch im Interesse ihres Leidensweges nach 1990 aufeinander zuzubewegen, wurde im Rahmen der Arbeit der Landesregierung zur Aufarbeitung von SED-Unrecht aufgegriffen. Neben der individuellen Betreuung verfolgen Staatskanzlei und LSB verschiedene gemeinsame Projekte, wie die Initiierung eines Ärztenetzwerkes. Ein Mitglied ist Dr. Sigurd Hanke, dessen Werke ebenfalls in der Ausstellung präsentiert werden. 2020 entstand die Dokumentationsbroschüre „Gemeinsam aus dem Schatten ins Licht“ im Nachgang des Symposiums „Doping und seine Folgen – Einsatz leistungssteigernder Mittel im Leistungssport der ehemaligen DDR und dessen Auswirkungen“.

Ein weiteres Ergebnis der Kooperation ist die Finanzierung eines Forschungsauftrags zur Studie „Vergabepraxis von Dopingmitteln und erlittenes Unrecht im DDR-Sport“, unterstützt durch den Deutschen Olympischen Sportbund. Ergebnisse sollen dieses Jahr vorliegen. Zusätzlich zum wissenschaftlichen Aspekt sollen aus den persönlichen Daten von Betroffenen Empfehlungen für Verwaltung und Ärzteschaft als Orientierung bei der Anerkennung von Gesundheitsschäden entstehen.

* Auszug aus der Broschüre von LSB und Thüringer Staatskanzlei: Gemeinsam aus dem Schatten ins Licht - Dokumentation zum Symposium „Doping und seine Folgen – Einsatz leistungssteigernder Mittel im Leistungssport der ehemaligen DDR und dessen Auswirkungen

Die Ausstellung eröffneten gemeinsam (v.l.n.r.): Dr. Peter Wurschi, Thüringer Landesbeauftragte zur Aufarbeitung der SED-Diktatur, Gesine Tettenborn, Tina Beer, Staatssekretärin für Kultur in der Thüringer Staatskanzlei und LSB-Hauptgeschäftsführer Thomas Zirkel. Fotos: Karina Heßland-Wissel

Die Ausstellung beinhaltet verschiedene Kunstformen - Gedichte, Fotografien oder Aquarelle. Ansprechpartnerin im LSB ist Anke Schiller-Mönch (hier im Foto).

Gesine Tettenborn ist heute offiziell anerkanntes Dopingopfer.


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