Im Staatsplan mit der Nummer 14.25 hatte die politische Führung der DDR systematisches Doping im Leistungssport beschlossen, um bei internationalen Wettkämpfen möglichst viele Medaillen zur nationalen Repräsentation zu erlangen. Ein Teil der vom Staatsdoping in der DDR betroffenen Sportler*innen wurde durch die verabreichten Pharmazeutika geschädigt. Negative körperliche Auswirkungen spüren die Betroffenen bis heute. Dazu kommen durch das diktatorisch strukturierte Dopingsystem verursachte psychische Erkrankungen, die durch bewusst einkalkulierte menschenverachtende Maßnahmen, wie Drohungen, Täuschungen und Erpressungen, ausgelöst wurden. Damit wurden die jungen Sportler*innen unter Druck gesetzt, sich der Dopingpraxis nicht zu verweigern und darüber nicht zu sprechen. Posttraumatische Belastungsstörungen verfolgen die Betroffenen deshalb bis heute. Die gesundheitlichen Schädigungen erschweren heute die soziale und wirtschaftliche Lage der Betroffenen zum Teil massiv.
Dennoch ist es für die geschädigten ehemaligen Leistungssportler*innen schwer, eine Anerkennung des politischen Missbrauchs und soziale Entschädigungsleistungen zu erlangen. Aus diesem Grund wurden erstmals die gesicherten Gerichtsakten der „Doping-Prozesse“ der 1990er Jahren umfangreich ausgewertet mit dem Ziel, durch eine verdichtete Faktenlage die Bestrebungen nach Erleichterungen bei der Anerkennung und Entschädigung zu unterstützen und die Bedeutung dieser beispiellosen, juristisch-historischen Aufarbeitung für den vereinten deutschen Sport bis heute überhaupt erst einmal ermessen zu können. Das ausgewertete Ermittlungsmaterial der ZERV[1] und Staatsanwaltschaften bietet anhand zahlreicher Zeug*innenaussagen und Ermittlungsberichte neue, detaillierte Einblicke in Mechanismen des Staatsdopings in der DDR. Eine besonders bittere Erkenntnis der Auswertung ist, dass es in der DDR Kinder- und Jugenddoping im Leistungssport gab – diese jungen Sportler*innen wurden absichtlich durch das damalige Regime getäuscht.
Die Forschungsarbeiten des Zentrums deutsche Sportgeschichte Berlin-Brandenburg e.V. um die Autoren und Historiker Dr. Jutta Braun und Dr. René Wiese wurden durch den Landessportbund Thüringen, die Thüringer Staatskanzlei und den Deutschen Olympischen Sportbund gefördert. Bei der Vorstellung der Forschungsergebnisse im August 2023 stellte Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow fest: „Wir erleben immer wieder, dass ein Teil der Aufarbeitung als individualisiert abgetan wird. Dabei geht es um eine gesellschaftliche Auseinandersetzung.“
Für Thomas Zirkel, LSB-Hauptgeschäftsführer, war die Förderung ein wichtiges Anliegen: „Im Vordergrund steht für uns die Unterstützung der Betroffenen, das Thema der Entschädigung ist nach wie vor offen. Wir hoffen mit den Erkenntnissen eine weitere Basis für eine gesetzliche Regelung legen zu können.“ Der Landessportbund Thüringen fördert als bisher einziger Landessportbund solch eine Studie. „Wir haben inzwischen ein Netzwerk von Ärzten und Betroffenen aufgebaut und erhalten regelmäßig Anfragen mit der Bitte um Beratung.“
Die Studie zu den Forschungsarbeiten wurde am 16. Mai 2024 im Rahmen eines Themenabends in Erfurt der Öffentlichkeit vorgestellt, die als Publikation „Sportgeschichte vor Gericht“ von Landessportbund Thüringen und Thüringer Staatskanzlei herausgegeben wurde und im arete Verlag erschienen ist. Ministerpräsident Bodo Ramelow betont, dass der Perspektivwechsel das Neue an der Studie sei, die nicht danach frage, was die heute geschädigten Sportler*innen gewusst haben, sondern nach dem System fragt, in dem die Betroffenen nie wussten, ob sie gedopt wurden oder nicht.
[1] Zentrale Ermittlungsstelle für Regierungs- und Vereinigungskriminalität