Zwei Thüringer träumen von Paralympischen Winterspielen

Nikolai Johann und Alexander Feretos starten für Thüringen im Parabob, als Mitte Dezember die Weltspitze der Behindertensportler zum dritten Mal auf der Rennschlitten- und Bobbahn in Oberhof gastierte waren sie erstmals dabei. Die Parabob-Piloten Nikolai Johann und Alexander Feretos (beide Integra Gera) sammelten auf der Heimbahn nicht nur Weltcuppunkte, es ging auch um die EM-Krone.

Johann und Feretos sind querschnittsgelähmt. Auf ihrer Heimbahn donnern sie dennoch mit bis zu 120 Stundenkilometern den Eiskanal runter. Im Gegensatz zu den nichtbehinderten Sportlern sitzen sie allein im Bob, Anschieber gibt es keine. Stattdessen werden die Piloten mit einem Katapult in die Bahn geschossen. Vor Stürzen schützt sie ein Gurt, um nicht aus dem Bob rauszufallen. Zusätzliche Sicherheit bieten die Heckflossen, die wie eine Art Überrollbügel funktionieren, die bei einem Sturz mehr Platz zwischen Bob und Eis bieten.

"Wahnsinnig inklusiv"

Anders wie im nichtbehinderten Bobsport fahren die Athleten keine eigene Schlitten, sondern solche des Weltverbandes. Diese werden vor jedem Rennen zugelost, der Zufall entscheidet. Johann sieht darin nur Vorteile: „Wir fahren alle mit identischem Material, das ist ein riesiges Plus an Fairness und der Wettkampf wird spannender.“ Beim Kufenschleifen darf jeder Athlet selber ran und seinen Schlitten für das Rennen vorbereiten. Und noch etwas ist anders: Frauen und Männer fahren zusammen. „Wir haben den gleichen Start, es kommt lediglich auf das fahrerische Können an“, merkt Johann an und sieht seinen Sport als „wahnsinnig inklusiv“ an. So könnten auch Menschen ohne Behinderung im Mono-Bob, also alleine fahren. „Das könnte ein Ziel für die Zukunft sein, Athleten mit und ohne Behinderung in einem Wettbewerb zu vereinen.“

Die Weltcupsaison 2019/2020 ist noch jung. Hinter Johann liegen die ersten vier Weltcuprennen – die Ergebnisse entsprachen nicht ganz den hohen Erwartungen: Zum Auftakt in Lillehammer kam der 30-Jährige auf die Plätze 14 und zwölf, in Oberhof lief es mit den Rängen 16 und elf nicht wesentlich besser. Massiver Trainingsrückstand, Fahrfehler und Anpassungsschwierigkeiten an die nach unten verlegte Starthöhe: Johann kam noch nicht richtig in die Spur. „Vor dem Weltcupstart gab es beispielsweise eine internationale Trainingswoche, an der wir nicht teilgenommen haben. Das war eher suboptimal. In Oberhof sind wir vom Damenstart losgefahren, um das Risiko für die vielen unerfahrenen Piloten, welche diese Saison hinzugekommen sind, zu minimieren. Trainiert hatten wir vor der Saison vom Herrenstart. Wir mussten uns auf eine ganz neue Linie einstellen, das haben andere besser umsetzen können“, erklärt Johann, der hoffnungsvoll seinen Heimrennen entgegensah. „Mein Ziel war es, das Optimum rauszuholen.“ Ein Podestplatz, schlechtenfalls Top 6, schwebte ihm vor. Seine Familie stand erstmals an der Bahn und konnte lediglich Platz zehn in der EM-Wertung beklatschen.

Rollstuhl kein Hindernis

Der Pforzheimer ist einer der deutschen Wegbereiter der noch jungen Sportart. Schon als Jugendlicher liebte Johann die Geschwindigkeit. Bei einer Trainingseinheit mit dem Mountainbike kam es zu einem folgenschweren Sturz. Der damals 16-Jährige ehielt die Diagnose: zwei glatte Wirbelbrüche und ein inkompletter Querschnitt. Seitdem sitzt er im Rollstuhl. Er hadert nicht mit seinem Schicksal, er meistert sein Leben nun mit Handicap. Beruflich wie sportlich ging er seinen Weg. Gerade erst hat der Politikwissenschaftler seine Bachelorarbeit an der Uni Leipzig eingereicht. Seine Zukunft sieht er im Sportmanagement, bei einem größeren Verband, wo er seine Erfahrungen gerade im Bereich Inklusion mit einbringen möchte.

Als Parabob-Pilot gewann er im Februar 2019 EM-Silber auf der Naturbahn in St. Moritz – sein bestes Resultat. Künftig würde Johann auch gern einmal einen Zweier- oder Viererbob durch den Eiskanal steuern. „Außerdem fände ich es ganz interessant, mich mit anderen, erfahreneren Piloten wie Francesco Friedrich, Johannes Lochner oder Mariama Jamanka an der Bahn auszutauschen.“

Feretos nickt zustimmend. „Das wäre schon toll, von solch erfahrenen Athleten ein Feedback zu bekommen und von ihnen zu lernen.“ Andererseits profitieren die Parabob-Piloten vom großen Erfahrungsschatz ihrer Trainer wie National- und Heimtrainer Frank Jacob, Roland Wetzig und Robert Göthner. Auf der Heimbahn in Oberhof lief es für Feretos, der wie Johann seine dritte Weltcupsaison fährt, nicht ganz optimal. „Die Trainingsfahrten waren super. Ich war vorn mit dabei. In den Rennen war ich dann zu sehr angespannt, um die guten Trainingsergebnisse zu bestätigen“, blickt der 38-Jährige zurück.

Nach dem Wettkampf flog Feretos zurück in seine griechische Heimat nach Athen. Er besitzt die doppelte Staatsbürgerschaft - sein Vater ist Grieche, die Mutter Deutsche. „Für die Weltcups komme ich extra eingeflogen.“ Am Bobfahren faszinieren ihn die Geschwindigkeit und die G-Kräfte in den Kurven. Vor zwei Jahren bekam er erstmals die Gelegenheit, sich diesem Geschwindigkeitsrausch auszusetzen. „Ich habe eine Mail an den Verband geschrieben, sie haben mich nach Oberhof eingeladen. Das erste Training lief gut, das zweite auch – und irgendwann war ich drin“, berichtet Feretos.

Finanzen lassen keine regelmäßigen Starts für beide Athleten zu

Vor zehn Jahren veränderte ein Motorradunfall sein ganzes Leben. Koma, Diagnose, Kampf: Relativ langsam realisierte er, dass körperlich etwas nicht stimmte. „Ich wusste nicht, was es wirklich bedeutet und wie es nach meinem Unfall weitergehen soll. Langsam habe ich mich an die neue Situation im Rollstuhl herangetastet.“ Nach dem Unfall probierte er sich im Rollstuhlbasketball und Schwimmen, letztlich landete er beim Parabob.

Wegen knapper Kassen können im Frühjahr nicht alle Piloten an allen Wettbewerben teilnehmen. „Nachdem sowohl der Bob- und Schlittenverband Deutschland (BSD) als auch das Land Thüringen intensiv an einer Notlösung gearbeitet hatten, sind die Rennen in St. Moritz und in Übersee (USA), sowie die Weltmeisterschaften in Lillehammer (24./25. März) zumindest für einen Athleten gedeckt. Wir werden uns abwechseln, sodass jeder von uns zumindest ein paar Rennen fahren kann“, erklärt Johann die angespannte Situation.

Der BSD hat die Aktiven, nach der überraschend negativen Entscheidung des IPC über die Aufnahme von Para-Bob ins paralympische Programm, aufgefangen, verfügt aber auch nur über begrenzte finanzielle Ressourcen. Para-Bob ist bisher nicht paralympisch, eine erneute Entscheidung wird im Sommer erwartet. Und wenn eine Sportart noch nicht Teil des olympischen oder paralympischen Programms ist, ist es schwer an Fördergelder heranzukommen.

Außerdem fehle es bisher an Trainingsgeräten, die für die deutschen Athleten aus der Schweiz ausgeliehen werden mussten. „Erfreulicherweise haben wir nun auch hierfür finanzielle Unterstützung aus Thüringen erhalten, sodass wir dies im Hinblick auf die kommende Saison mit der Anschaffung eigener Trainings-Bobs ändern können“, berichtet Johann, der zuletzt für den Parabob-Sport laut eigener Aussage beruflich wie privat viele Einschnitte in Kauf nahm. Als zwei der deutschen Wegbereiter der noch jungen Sportart geben Johann und Feretos die Hoffnung nicht auf. Sie träumen davon, dass Para-Bob eines Tages paralympisch wird und sie bei den Paralympischen Winterspielen starten können.

Sandra Arm

Beim dritten Weltcup im Para-Bob in Oberhof war mit Alexander Feretos erstmals ein Sportler eines Thüringer Vereins am Start. In der gleichzeitigen EM-Wertung kam der Geraer auf Platz elf. Foto: imago images

Nikolai Johann musste nach seinem Auftritt und Platz 12. in der EM-Wertung von Trainer Roland Wetzig getröstet werden. Foto: imago images


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