„Auch mit Behinderung kann man wertvolle Arbeit für die Gesellschaft leisten“

Die blinde Andrea Hofmann engagiert sich ehrenamtlich in der DLRG, die mit rund 1,8 Millionen Mitgliedern und Förderern die größte freiwillige Wasserrettungsorganisation der Welt ist. Auch in Thüringen werden die Schwimm- und Rettungsschwimmausbildungen ausschließlich von ehrenamtlichen Ausbildern geleitet. Andrea Hofmann ist eine von vielen Ehrenamtlichen im Landesverband. Sie ist 26 Jahre alt, arbeitet hauptberuflich als Sozialpädagogin in einer integrativen Kita und sie ist blind. Steffen Schulze, Leiter der DLRG-Öffentlichkeitsarbeit in Thüringen, hat mit ihr über eines ihrer Ehrenämter als Sanitäterin und die damit verbundenen Herausforderungen gesprochen.

Steffen Schulze: Wie sind Sie zum DLRG Stadtverband Erfurt gekommen?

Andrea Hofmann: Durch meinen Freund. Er ist seit vielen Jahren im Stadtverband und im Jugendvorstand engagiert und hat viele Wochenenden bei Sanitätsabsicherungen verbracht. Also habe ich ihn immer mal wieder begleitet und bin so irgendwie in das Ganze reingerutscht.

Steffen Schulze: Welche Ausbildung haben Sie, um im Sanitätsbereich tätig zu sein?

Andrea Hofmann: Im April 2018 habe ich die Ausbildung zur Sanitätshelferin SAN A gemacht und plane den SAN B dranzuhängen.

Steffen Schulze: Was war die größte Herausforderung während dieser Ausbildung?

Andrea Hofmann: Die Konzentration aufrecht zu erhalten. Es ist auf Dauer sehr anstrengend, wenn man „nur“ zuhören kann. Außerdem kann ich auf Grund meiner Sehbehinderung, mein linkes Auge ist blind, das rechte hat eine Sehkraft von ca. drei Prozent, womit ich gesetzlich als blind gelte, nicht manuell Blutdruck messen. Mit der automatisierten Blutdruckmessung gibt es eine funktionierende Alternative.
Steffen Schulze: Warum haben Sie sich dennoch für diese Ausbildung entschieden?
Andrea Hofmann: Ganz einfach. Diese ist Voraussetzung, um an Sanitätsdiensten teilnehmen zu können. Jetzt ist mein Elan im medizinischen Bereich tätig zu sein, geweckt.

Steffen Schulze: Was nervt Sie bei Einsätzen?

Andrea Hofmann: Die fehlende Selbstständigkeit. Jeder Einsatz ist anders, vom Ort angefangen bis hin zu den medizinischen Notfällen. Ich kann mich oft nicht allein im Einsatzgebiet bewegen, aber eine Sanitäterin mit Blindenstock käme sicher merkwürdig und nicht gerade vertrauenserweckend an. Ich möchte aber auch nicht ziellos umherlaufen. Abgesehen davon, bekomme ich nicht mit, wann ein Ernstfall eintritt. Im Eishockey sichert der DLRG Stadtverband Erfurt regelmäßig Spiele ab, u.a. in der Thüringenliga. Ich kann jedoch nicht unterscheiden, ob verletzte Spieler auf dem Eis wieder aufstehen können oder ob sie Hilfe benötigen. Deshalb bin ich immer mit mir vertrauten Personen, vorzugsweise meinem Freund, unterwegs. Wir sind ein gut ein gespieltes Team. Er weiß, was ich kann und wobei ich Hilfe brauche. Und ich kann ihn unterstützen, denn er ist schwerhörig. Was mich noch nervt und auch verletzt ist, dass einige Leute mir vieles nicht zutrauen. Sie hören, dass ich im Sanitätsdienst bin und schauen erstmal ungläubig oder sagen direkt, dass das nicht geht und ich sowieso nichts auf die Reihe bekomme.

Steffen Schulze: Was sind Ihre Ziele und Wünsche für die weitere Tätigkeit in der DLRG?

Andrea Hofmann: Rettungsschwimmerin werden (lacht). Nein, ich weiß selbst, dass das nicht möglich und auch nicht erstrebenswert für mich ist. Man stelle sich eine blinde Rettungsschwimmerin vor. Wo war noch gleich die ertrinkende Person? Zudem sind meine Schwimmfähigkeiten mit denen einer wasserscheuen Katze vergleichbar. Aber ich möchte die SAN B-Ausbildung absolvieren. Das wird nochmal eine große Herausforderung für mich. Und ich möchte die Ausbildung zur Erste-Hilfe-Ausbilderin machen.

Steffen Schulze: Was bedeutet Ihnen das Ehrenamt?

Andrea Hofmann: Nur weil man eine Behinderung hat, heißt das nicht, dass man nicht auch aktiv werden kann. Ich finde es schade, dass anscheinend viele denken, dass man mit Behinderung nur zu Hause sitzt und für die Gesellschaft keine wertvolle Arbeit leisten kann. Doch man kann auch mit oder trotz einer Einschränkung viele Dinge verschiedenster Art tun. Egal ob als rollstuhlfahrender Basketballer, als tauber Pianist oder eben als blinde Sanitäterin.

Steffen Schulze

Wer ist Andrea Hofmann?

Andrea Hofmann ist ein wichtiger Bestandteil des Erfurter Einsatzteams. Prof. Dr. Rainer Knauf, Vorsitzender des DLRG Stadtverbandes und Technischer Leiter Ausbildung im Landesverband Thüringen, beschreibt ihre Rolle wie folgt: „Im Einsatz assistiert Andrea den eingesetzten Sanitätshelfern mit ihrer Sachkunde zum jeweiligen Einsatzszenario und mit der Vorbereitung und Bereitstellung des akut benötigten Einsatzmaterials." Und sie übernimmt noch weitere Aufgaben und steht damit exemplarisch für die vielen ehrenamtlich engagierten Einsatzkräfte in der DLRG, die fast durchgehend mehrere Funktionen absichern. Andrea ist Teil des Erfurter DLRG Jugendvorstandes. Als Finanzbeauftragte hat sie eine Ausbildung zum JET-Teamer absolviert. In Jugend-Einsatz-Teams (JET) wird der Wasserretternachwuchs im Alter zwischen 12 und 18 Jahren ausgebildet. Zudem obliegt Andrea Hofmann gemeinsam mit Doreen Wilke die pädagogische Leitung des Erfurter JET. Sie steht wie keine andere für die Grundwerte der DLRG Jugend, ganz dem Leitbild entsprechend.

Andrea Hofmann ist mit Herz und Seele ehrenamtlich für die DLRG im Einsatz.

Um Sanitätshelferin zu werden, sind Übungen für den Notfall Pflicht.


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