Szenenwechsel: Dezember 2019, Arnstadt, Produktionshalle, Firma Garant Türen und Zargen GmbH: Julian Wagner qualifiziert sich in seiner Ausbildungsstätte in den Bereichen Elektronik, Informatik und Metallverarbeitung. Auch hier bringt er seine volle Motivation ein, ist konzentriert bei der Sache. Nach dem eigens für ihn vorgelegten Feierabend geht es zum Training in die Landeshauptstadt.
Ich will nicht hinterherlaufen
Zurück zum Sport: Das Finale in Berlin ist ein Moment in der Sportkarriere von Julian Wagner, der bleibt. Abgespeichert tief im Innersten. Eben für all jene Tage, in denen es mal nicht so gut läuft. Berlin bleibt für immer. "Mit dem Finale habe ich ein bisschen geliebäugelt, aber nur dann, wenn ich abrufe, was ich kann", berichtet der Erfurter und brachte sich sein Vorjahr ins Gedächtnis. "Wie schon in meinem ersten Männerjahr habe ich mir vorher gesagt, dass ich nicht hinterherlaufen möchte. Das ist mir sehr gut gelungen." Vor allem ließ er Athleten hinter sich, die in dieser Saison schon schneller unterwegs waren. "Für mich war das ein tolles Gefühl."
Auf diesen versöhnlichen Moment hat er bis zum Saisonabschluss warten müssen. Wenn Julian Wagner etwas an der abgelaufenen Saison gestört hat, dann wohl der Wind. Bei der U23-DM in Wetzlar blies er gleich drei Mal zu stark. Vorlauf: 10,32 Sekunden (+2,3 m/s), Halbfinale: 10,30 Sekunden (+2,2 m/s), Finale: 10,32 Sekunden (+2,1 m/s). Zulässig sind 2 Meter pro Sekunde Rückenwind. Beim Abschlusswettkampf - vor den Deutschen Meisterschaften - in Leverkusen reichten 10,45 Sekunden nicht fürs Finale. Dem verpassten Einzug trauerte er angesichts dem optimalem Wind (+1,9 m/s) und schnellen Zeiten etwas hinterher. So steigerte Teamkollege Julian Reus seine Saisonbestleistung auf 10,13 Sekunden.
Die Richtung für eine schnelle Saisonzeit stimmte beim hoffnungsvollen U23-Sprinttalent. "Über die Saison gesehen wollte ich schon eine Zeit im 30er Bereich laufen. Nach Wetzlar habe ich zu meinem Trainer Gerhard Jäger gesagt, dass ich bei gültigem Wind eine tiefe 30er Zeit laufen kann. Er hat eher skeptisch darauf reagiert. In der Woche vor Berlin waren die Trainingszeiten in diesem Bereich. Dann kam von mir die Ansage, ich möchte eine tiefe 10,30 in Berlin laufen. Das ist mir gelungen", atmet Julian Wagner einmal tief durch.
Traum Staffeleinsatz bei Olympischen Spielen in Tokio
Diese Bestzeit steht, in der deutschen Jahresbestenliste rangiert er damit auf Rang neun. Und noch etwas lässt ihm mit gutem Gewissen auf die nächste Saison blicken. Nach dieser „sehr ausgeglichenen, verletzungsfreien Saison auf einem sehr gutem Niveau“, gab es Anfang November noch eine freudige Nachricht: die Aufnahme in den DLV-Perspektivkader. Dies bringt für ihn einen ganz besonderen Vorteil. "Ich bekomme jetzt Sporthilfe und die Physiotherapie ist abgesichert. Vorher musste ich die Behandlungen selbst bezahlen oder sie mir über den Arzt verschreiben lassen."
Mit ordentlichem Rückenwind begann die Vorbereitung auf die Olympia-Saison 2020. Seit Mitte September läuft das Training - und das sogar sehr gut. Der Leichtathlet wird nun mal über den Winter gemacht." Beginnend mit der Hallensaison durch die er "stabil und gesund" kommen möchte. Ziele gibt es noch keine. Im Sommer warten zwei internationale Höhepunkte: die Olympischen Sommerspiele in Tokio (Japan; 31. Juli bis 9. August) sowie die Europameisterschaften in Paris (Frankreich; 25. bis 30. August). Die Einzelnorm wie für Olympia (10,05 sec) liegt augenblicklich weit entfernt. Wenngleich es momentan noch eine andere Chance gibt: die Staffel. "Ich konzentriere mich erstmal auf die Staffel. Versuche mich dort zu integrieren, alle DLV-Maßnahmen mitzunehmen, mich zu präsentieren und zu verbessern, um mich dann für internationale Einsätze anzubieten", beschreibt Julian Wagner seinen Plan.
Vierjährige Ausbildung als Mechatroniker
Doch sind die sportlichen Ziele nicht die einzigen. Nach dem Abitur sich ausschließlich auf Training und Wettkämpfe zu konzentrieren, war keine Option. Julian Wagner hat auch beruflich ehrgeizige Pläne, verlässt sich nicht allein auf die Leichtathletik. Aktuell befindet sich der junge Erfurter im zweiten Ausbildungsjahr als Mechatroniker bei der Arnstädter Firma Garant Türen und Zargen GmbH. Er ist der Erste, der dort eine duale Karriere begann. "Das hat nur funktioniert, weil fünf bis sieben Köpfe zusammengearbeitet haben." Wie sah das konkret aus? Julian Wagner muss dafür etwas weiter ausholen. Schließlich gab es nach dem Abitur 2018 mehrere Optionen. Eine Ausbildung bei der Landespolizei schwebte ihm vor. Problem: ausgebildet wird in Meiningen. "Ich brauche schon meine Halle zum Trainieren und den Kraftraum. Das ist dort nur schwer möglich." Neuer Versuch bei der Bundeswehr. Auch dort gab es eine Absage.
Beim Freiwilligen Sozialen Jahr waren seine Eltern nicht überzeugt. Also doch eine Ausbildung. "Wenn, dann wollte ich was Handwerkliches lernen." Laufbahnberaterin Sabine Öhrlein vom Olympiastützpunkt Thüringen hatte eine Idee, sie schickte seine Bewerbung über den Verteiler des Erfurter Bildungszentrum Unternehmerverbundes. „Es haben sich daraufhin um die 20 Unternehmen bei mir gemeldet. Am Ende blieben zwei übrig." Julian Wagner entschied sich für Garant. „Ich habe mich dort sehr gut aufgehoben gefühlt und es passt einfach menschlich." Persönlich betreut wird er von Heino Barth, er ist technischer Leiter. "Er hat Verständnis für den Sport. Einer seiner Söhne besucht die Sportschule in Jena." Eine kleine Besonderheit bietet ihm die Ausbildung: Julian Wagner lernt vier Jahre. Um sich bestmöglich auf die Wettkämpfe vorzubereiten, wird er für das Training freigestellt. Das galt ebenso wie für die U23-Europameisterschaften und die Deutschen Meisterschaften in diesem Jahr. Und dieses Vertrauen zahlt er mit Topleistungen im Sport und in seiner Ausbildung zurück. Ein Weg, der zeigt, dass sie funktionieren kann, die duale Karriere.
Sandra Arm