Olympiatraum lebt: Ringerin Maria Selmaier verschiebt Karriereende

Die ewige Stadt Rom. Für Maria Selmaier hat die italienische Hauptstadt in diesem Frühjahr noch mehr an Charme gewonnen. Sie wird ihr nämlich immer mit zwei wunderschönen Momenten in Erinnerung bleiben. Bei den Europameisterschaften trumpfte die 28-jährige Ringerin vom KSC Apolda groß auf: mit der Silbermedaille erkämpfte sie in der Klasse bis 72 Kilogramm das beste Ergebnis ihrer Karriere. Im Finale unterlag sie der russischen Welt- und Olympiasiegerin Natalia Vorobeva. Wenige Wochen zuvor hatte Selmaier bereits ein Ranglistenturnier in Rom gewonnen, womit sie das EM-Ticket löste.

Erst einmal habe sie sich das Video von ihrem EM-Finalkampf angeschaut. Aber auch nur deshalb, weil Freunde und Familie ihr gesagt haben, dass die große Favoritin anfangs zurücklag. „Ich wollte es nicht glauben. Aber man hat es deutlich gesehen, weil sich die Russin ein wenig darüber geärgert hat. Dann hat sie mich mit ihrem Spezialgriff geworfen und der Kampf war vorbei“, erinnert sich Selmaier zurück. Enttäuscht über den zweiten Platz ist sie aber nicht. „Natürlich strebt man als Sportler immer nach dem Höchsten. Meine Gegnerin war keine Unbekannte. Sie ist schließlich Weltmeisterin und Olympiasiegerin. In dem Fall bin ich mit Silber sehr zufrieden. “

Es war nicht das erste deutsch-russische Aufeinandertreffen. So erinnert sich Selmaier an ihre erste EM 2007. „Das war im Nachwuchsbereich, als ich ihr im Halbfinale gegenüberstand. Sie war damals schon ausnahmslos die Beste. Sie hat mich so über die Matte gewedelt, ich hatte keine Chance.“ Die Ringerinnen kennen und schätzen sich – der Kreis ist doch recht überschaubar. „Das ist wie eine große Familie, wenn man sich irgendwo auf der Welt trifft.“ Die Welt zu Gast in Tokio: Ursprünglich sollten die Olympischen Spiele in diesem Sommer in Japan stattfinden. Wegen der Corona-Pandemie wurden die Spiele nun ins nächste Jahr verschoben.

Als Ersatzfrau lebt der Traum von Olympia in Tokio weiter
Ebenso wie ihr Karriereende. Ihre leistungssportliche Laufbahn wollte Selmaier nach dieser Saison beenden. Gäbe es da nicht Olympia 2021. Wenngleich ihr dafür eigentlich die Qualifikation fehlt. „Ich war im Vorjahr in Deutschland nur auf dem zweiten Platz in meiner Gewichtsklasse bis 68 Kilogramm. Ich habe gegen Anna Schell verloren. Sie ist damit zur Weltmeisterschaft gefahren, wo sie die Qualifikation holte.“

Als deutsche Nummer zwei hält sie weiterhin das Training aufrecht. Sollte Schell auf dem Weg nach Tokio aus gesundheitlichen oder verletzungsbedingten Gründen ausfallen, käme wohl die gebürtige Magdeburgerin zum Zug. „Man wünscht keinem Athleten eine Verletzung. Sollte ihr etwas passieren, stehe ich bereit und es besteht vielleicht die Chance, in Tokio dabei zu sein.“ Gerade Japan, gerade Tokio. In einem Land, in dem das Ringen einen immens hohen Stellenwert besitzt. „Japan ist die führende Nation im Frauen-Ringen. Für die Japaner ist Ringen im eigenen Land ein Mega-Event“, berichtet Selmaier.

Einmal durfte sie schon Olympia-Luft schnuppern – 2016 in Rio. „Das war ein unglaubliches Erlebnis für mich. Von den anderen Wettkämpfen oder Rio selbst habe ich gar nicht so viel mitbekommen, weil ich mich selbst auf meinen eigenen vorbereiten musste.“ Für einen Wettkampf außerhalb der Ringerhalle hatte sie dann doch etwas Zeit gefunden. Sie saß im Olympiastadion als Speerwerfer Thomas Röhler vom LC Jena olympisches Gold holte. Beide verbindet ihre gemeinsame Vergangenheit am Sportgymnasium in Jena, sie besuchten dieselbe Klasse. „Wenn ich heute an diesen Moment in Rio zurückdenke, bekomme ich immer noch Gänsehaut. Ich habe mich für ihn unheimlich gefreut. Im Deutschen Haus, in dem die Medaillengewinner gefeiert wurden, habe ich ihm zum Olympiasieg gratuliert. Er sagte mir dann dort, dass er mich im Stadion gesehen hat. Der Tag war für uns beide unbeschreiblich schön.“

Training für den Nachwuchs via Livechat
In ihrer langen Laufbahn erlebte sie viele emotionale Momente. Angefangen beim PSV Magdeburg, wo sie ihre ersten Schritte auf der Ringermatte unternahm. „Mein Trainer konnte anfangs nicht wirklich mit mir etwas anfangen. In Magdeburg gab es noch kein Frauen-Ringen. So habe ich bis zum zwölften Lebensjahr gegen Jungs gerungen. Als ich erstmals Landesmeisterin geworden bin, hat mein Trainer gemerkt, dass ich gar nicht so schlecht bin.“ Da es in Magdeburg keinen Leistungsstützpunkt für Ringerinnen gab, zog sie 2004 nach Jena. In den Folgejahren errang sie mehrere deutsche Meistertitel sowie als Kadettin den dritten Platz bei den Europameisterschaften im lettischen Daugavpils (2008). Zwei Jahre später gab es Silber bei der Junioren-EM in Samokov (Bulgarien). Ein Wermutstropfen: Weiterhin gibt es in Deutschland keinen Ligabetrieb im Frauenringen. Beim KSC „Deutsche Eiche“ Apolda kümmert sie sich außerhalb ihrer Trainingszeit um den Nachwuchs.

In Zeiten von Corona war das nur eingeschränkt und via Livechat möglich. Sie selbst verbrachte zwei Wochen bei ihrer Freundin in Österreich. Die traumhaft schöne Berglandschaft bestens geeignet für Grundlagentraining, Laufen und Fahrradfahren. Es waren genau jene Tage, in denen die Fallzahlen des Corona-Virus stetig zunahmen. Sie reiste zurück nach Jena, begab sich freiwillig in zweiwöchige Quarantäne. Danach ließen geschlossene Hallen kein geregeltes Training zu. Ihr Alternativprogramm: Wandern, Fahrradfahren, Joggen. „Es war mal ganz gut, aus dem Alltag eines Leistungssportlers rauszukommen, abzuschalten und sich ein bisschen auf seinen Körper zu konzentrieren“, rang sie der Situation durchaus etwas Positives ab.

Die Fallzahlen sanken, die Corona-Beschränkungen wurden gelockert. Die Ringer kehrten unter strengsten Auflagen zurück in ihre Halle. „Unser Trainingspartner ist eine Ringerpuppe, die sich nicht wehren kann. Das ist alles nicht optimal“, schildert sie die schwierige Situation. Reichlich Ablenkung findet Selmaier abseits des langsam wiederkehrenden Trainingsalltags. Zum einen beruflich. Auch wenn sich Olympia um ein Jahr verschiebt, ändert dies nichts an ihren beruflichen Plänen. Für ihr zweijähriges Aufbaustudium kann sich die Polizeimeisterin erst Ende nächsten Jahres bewerben. Genug Zeit, um jetzt in einigen Bereichen der Polizei wie momentan bei der Kriminaltechnik reinzuschnuppern.

Zum anderen privat. Schluss mit Pendeln, Schluss dem Kapitel Fernbeziehung: Selmaier hat sich mit ihrer Freundin für ein gemeinsames Leben an einem Ort entschieden. In Deutschland, in Thüringen, in Kleinromstedt haben sie ihr neues Zuhause gefunden. Und irgendwie steckt da plötzlich wieder diese ewige Stadt Rom drin. Möge das sportliche Glück nun auf das private überspringen – für noch mehr wunderschöne und unvergessliche Momente.

Sandra Arm

Maria Selmaier kämpft beim Weltranglistenturnier 2019 in Istanbul in der Gewichtsklasse bis 68 kg gegen die deutsche Meisterin Anna Schell. (Foto: Imago Images/ Kadir Caliskan)


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